„Guardian“ orientiert sich am Youtube-Gedanken

„Wikinomics“-Autor Anthony D. Williams über Internet Bubbles, Kollaboration als Werkzeug und den Wiki-Faktor in seinem Leben

Die Bestseller „Wikinomics“ und „Macrowikinomics“ aus der Feder der Kanadier Anthony D. Williams und Don Tapscott brachten die Auswirkungen des omnipräsenten Internet auf Medien, Wirtschaft und Politik wie nur wenige zuvor auf den Punkt und zählen seitdem zu den Modern Classics des Genres. derStandard.at bat Anthony D. Williams, Keynote-Speaker am Werbeplannung.at Summit 11, zum Gespräch. Tatjana Rauth berichtete er von erfolgsversprechenden Medien- und Marketingstrategien der Zukunft.

derStandard.at: Ihre beiden Bücher „Wikinomics“ und „Makrowikinomics“ waren beide Bestseller. Würden Sie uns kurz die wichtigsten Erkenntnisse näher bringen?

Anthony D. Williams: Unser erstes Buch „Wikinomics“ handelt von dem Novum, dass zum ersten Mal in der Geschichte Millionen Menschen in einer nie dagewesenen Art an der Wirtschaft teilnehmen können. Sie können zu Medienproduzenten werden, sie können Software auf Weltklasse-Niveau produzieren, sie können an Enzyklopädien mitschreiben oder beim Design von Autos und Motorrädern mitwirken.

Möglich wird das durch ein globales Netzwerk an Kollaborationswerkzeugen, das Menschen erlaubt zusammenzuarbeiten, und Firmen wiederum, auf genau dieses Potential zuzugreifen und auch selbst mit Kunden, Partnern und Anbietern zu kollaborieren. In einem breiteren Ökosystem können Menschen an Design, Entwicklung und Marketing teilnehmen.

In „Markowikinomics“ zeigen wir auf, dass das Phänomen der Kollaboration nicht auf die Geschäftswelt oder die Medien beschränkt ist. Tatsächlich ist es so, dass kollaborative Zugänge der Gesellschaft und ihren Institutionen neue Innovationen bringen, besonders in Bereichen, die noch zu sehr in der Vergangenheit verhaftet sind. Gerade sie haben eine schwierige Zeit sich an die neuen ökonomischen und sozialen Realitäten und im speziellen an die digitale Revolution anzupassen. Es geht dabei hauptsächlich um Regierungen, Bildungsbelange, Gesundheitsversorger, Wissenschaftler oder NGOs – sie alle brauchen das Werkzeug der Kollaboration um ihre Ziele zu erreichen.

derStandard.at: Der Großteil der Medienunternehmen hat durch die rasante Web-Evolution mit großen Problemen im Bereich der Restrukturierung zu kämpfen. Gibt es einen Weg aus der Krise?

Williams: Rund um die Frage, wie sich Medien neu erfinden, lassen sich derzeit zwei Zugänge beobachten. Einerseits gibt es die Strategie, die Leser zu digitalen Abonnenten zu machen. Diese Strategie hat bis jetzt vor allem für Publikationen funktioniert, die wertvolle, schwer replizierbare Informationen anbieten, wie etwa die Financial Times oder das Wall Street Journal.

Regel Nummer 1 lautet also: Du musst etwas Unverwechselbares und Außergewöhnliches anbieten und Du brauchst talentierte Leute für die Recherche und das Verfassen der Artikel.

Regel Nummer 2 lautet: Experimentiere mit neuen Online-Modellen.

Das aktuellste Beispiel hierfür ist „The Guardian“, der komplett auf digitale Produktion umgestellt hat. Das Unternehmen geht weit offenherziger mit Inhalten um als viele seiner Mitbewerber und gewinnt damit kontinuierlich eine wachsende Leserschaft. Unterstützend wurde ein neues Werbenetzwerk gegründet, welches derzeit hart an Konzepten zur Monetarisierung arbeitet.

Das Konzept lehnt sich meiner Meinung nach an den Grundgedanken von Youtube an. Youtube-Videos sind aufgrund ihrer Fähigkeit zur Verknüpfung von Content überall im Internet zu finden und ich vermute „The Guardian“ denkt ähnliche Verbreitungs- und Verknüpfungsmechanismen von Content und Online-Werbung an.

Ich hoffe sehr, dass dieses Modell erfolgreich sein wird, weil ich der Meinung bin, dass es die richtige Mischung an Offenheit lebt, denn möglicherweise wird es nie von Erfolg gekrönt sein, Paywalls im Internet zu errichten.

Nebst wirtschaftlichen Fragen gibt es zahlreiche weitere Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. So ist zu beobachten, dass eine wachsende Anzahl von Usern vornehmlich Websites und Nachrichtenstationen besucht, die ausschließlich Meinungen wiedergeben, mit denen sie bereits einverstanden sind. Es wäre äußerst ironisch, wenn die Entwicklung dieser sogenannten Internet Bubbles in einer Flut von Fakten und Informationen bewirken würde, Menschen mit weniger breitgefächerten Informationen zu versorgen als es in der analogen Vergangenheit der Fall war.

Video: Eli Pariser erklärt die Internet Bubble (TED Talk)

derStandard.at: Die Menschen konsumieren Information auf neue Arten, sei es nun via Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken. Welche Rolle wird dabei das Mobiltelefon der Zukunft spielen?

Williams: In der mobilen Telefonie gibt es eine starke Entwicklung, wie wir auf Information aus dem Internet zugreifen. Der Weg führt vom „Mobile Computing“ zu etwas noch viel Allgegenwärtigerem, das man „Internet of Things“ nennt. Das „Internet of Things“ wird nicht mehr nur aus Computern und Mobiltelefonen bestehen, sondern aus jedem animierten Objekt, das man sich virtuell vorstellen kann. Über kleine Geräte und Mikroprozessoren wird man so mit anderen Geräten und anderen Menschen Kontakt pflegen können und das wird unsere Welt revolutionieren.

Heutzutage können wir via Mobiltelefon Content bereits überall konsumieren. Wir können Informationen über die lokale Umgebung oder Menschen mit ähnlichen Interessen einsehen, wir bekommen Empfehlungen für interessante Veranstaltungen oder Restaurants. Als zusätzliche Informationsebene wird in Zukunft Augumented Reality eine beachtliche Rolle spielen. Diese wird den Usern erlauben, ihre physische Welt auf einem neuen Level der Detailgenauigkeit zu sehen.

derStandard.at: Die zukünftigen Entwicklungen scheinen wie geschaffen für digitales Marketing zu sein.

Williams: Die wachsende Informationsflut eröffnet enorme Möglichkeiten für das Marketing und man kann irrsinnig detaillierte Informationen über Geschmack, Vorlieben und Aufenthaltsorte potentieller Kunden gewinnen, was aus der Sicht des Datenschutzes natürlich bedenklich ist. Von der positiven Seite betrachtet, gleicht es einem Austausch, denn einerseits offenbart man zwar mehr über sich, andererseits bekommt man dadurch Zugriff auf in höchstem Maße zugeschnittene und personalisierte Services.

Es wird aufgrund der fortschrittlichen Analysemöglichkeiten möglich sein vorauszusehen, welche Produkte der Kunde brauchen wird und ihn mit cleverem Marketing zur richtigen Zeit am richtigen Ort anzusprechen.

Höchstwahrscheinlich wird die Inanspruchnahme solcher Services eine Reflektion der eigenen Persönlichkeit sein, wie man es heute schon auf Facebook beobachten kann. Es gibt bestimmte Leute, die einfach alles auf Facebook teilen und andere die mehr Privatheit bevorzugen.

derStandard.at: Viele Unternehmen versuchen durch die Einbindung von Web 2.0 Tools, Kunden zu gewinnen und enger an die Marke zu binden. Welche Strategien versprechen dabei den meisten Erfolg?

Williams: Man muss einen Hebel finden, der die Leidenschaft der Menschen weckt. Derzeit kann man sehen, wenn diesbezüglich Marketingideen fehlen, werden Contests veranstaltet. Ich halte dieses Modell allerdings nicht für besonders nachhaltig. Letztlich ist es viel wirkungsvoller, wenn man die Menschen begeistert und zu etwas motiviert, woran sie persönlich glauben. Dazu muss man zuerst seine Kunden verstehen und ihnen den Weg ebnen, gemeinsam als Community zu kollaborieren und Ideen und Informationen auszutauschen. Das ist der Trick.

Die Frage, die zu stellen ist, hängt sehr stark von Industriezweig und Produkt ab. Wenn man etwa Waschmittelhersteller ist, werden die Leute vielleicht nicht besonders daran interessiert sein, die nächste Seife zu erfinden, aber möglicherweise findet man einen Hebel über das Umweltbewusstsein.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es um die Inspiration von Leidenschaft und das Auffinden der richtigen Leute geht. Man braucht Werkzeuge, die funktionieren und Leute, die damit umgehen wollen. Ein wichtiger Zusatzpunkt ist: Man muss den Leuten Resultate zeigen und ihnen Feedback geben und das so schnell wie möglich. Sie müssen sehen, dass ihr Beitrag Konsequenzen hat, die zu etwas Wichtigem führen und dass sie nicht nur ihre Zeit verschwenden.

derStandard.at: Wie Wiki ist Ihr eigenes Leben?

Williams: Das ist eine interessante Frage, die ich gerade letzthin mit meinen Arbeitskollegen vom Lissbon Council besprochen habe. Wir arbeiten im Auftrag der EU an einem neuen Konzept der „Micronationals“. Zum ersten Mal in der Geschichte können die Prinzipien der Wikinomics nicht nur von großen Unternehmen genutzt werden, sondern werden immer machtvollere Instrumente für Klein- und Mittelbetriebe sowie für Individuen. Sie können Kollaborationen starten, sie haben Zugang zu globalen Märkten, Zugriff auf neue Talente und Produktionsmöglichkeiten.

Ich selbst bin Freelancer, in dem Sinne, dass ich keinen Ganztagsjob habe. Es gibt heutzutage eine neue Form des Arbeitsverhältnisses, in dem man keinen Vertrag hat. Ich schreibe, halte Reden und fungiere manchmal als Berater, ich arbeite mit Kollegen zusammen, wenn ich ein größeres Team brauche, ansonsten erledige ich meine Aufgaben alleine. Das schafft mir große Flexibilität im Leben, die ich nicht missen möchte. Natürlich laufen zudem alle meine Unterhaltungen mit Kollegen über Social Media, wie zum Beispiel Twitter (@adw_tweets). Eigentlich ist alles rund um mein Geschäft komplett virtuell. (Tatjana Rauth/derStandard.at/11.7.2011)

Zur Person:

Anthony D. Williams verfasste gemeinsam mit Don Tapscott die Bestseller „Wikinomics. Die Revolution im Netz“ und „MacroWikinomics: Rebooting Business and the World“. Am 14. Juli 2011 eröffnet er als Keynote-Speaker den Werbeplannung.at Summit 11 in Wien.

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