Minenfeld Suchmaschinen-Marketing

Trotz hoher Wachstumsraten und steigender Gewinne ist der SEM-Markt keine Insel der Seligen – Über Fehlerquellen und Zukunftspotentiale des einträglichsten Geschäftszweigs im World Wide Web

„Wenn ich einmal reich wär“ trällern die Protagonisten im Broadway Musical Anatevka und träumen dabei von einem Leben inmitten der oberen Zehntausend. Der Ohrwurm aus den 60er Jahren passt als Soundtrack wie die Faust aufs Auge zur heutigen SEM-Branche, die sich im Kampf um die vordersten Plätze in den weltweit etablierten Suchmaschinen nichts schenkt. Die Glücksritter von heute sind Marketingspezialisten, die versuchen, ihre Website an die Spitze zu bringen und mit Top Ranking Positionen Verkäufe anzukurbeln und Gewinnspannen zu maximieren. Die oberen Zehntausend sind dabei ein vernachlässigbares Ziel – es geht um einen Platz unter den Top drei.

„Es reicht heute nicht mehr auf die erste Seite zu kommen, sondern man muss mit seinem Keyword Platz eins bis drei erreichen. Nicht ganz die Hälfte des Klick-Traffics geht auf Position eins, bei Position sechs sind es gerade noch vier bis fünf Prozent“, sagt Mario Fischer (@mariofischer). Er sitzt im Vorstand des deutschen Verbandes für Digitale Wirtschaft, forscht am tms Institut in Nürnberg und ist zudem Herausgeber der Zeitschrift „Website Boosting“, die sich intensiv mit Suchmaschinenmarketing auseinandersetzt. Der Multitasking-Profi, der auch selbst als SEM-Berater tätig ist, sieht den derzeitigen Markt als Tummelplatz für schnelle Geldmacher und verortet die Ursachen dafür in der kaum regulierten Geschäftslandschaft.

„SEM macht derzeit fast jeder, weil man damit viel Geld verdienen kann und keinerlei Ausbildung oder Nachweis braucht“, sagt Fischer. Auch viele Agenturen würden sich dem Trend anschließen, da es ansonsten zu Verlusten von Aufträgen kommen könnte – das allgemeine Problem sei aber, dass die meisten keine Ahnung von echter Optimierungsleistung hätten.

SEM = SEO + SEA

Suchmaschinenmarketing (SEM) baut auf zwei Grundfesten auf. Die klassische Suchmaschinenoptimierung (SEO) versucht Webseiten bereits durch Programmierung und Linkbuilding an die Vorlieben der Suchmaschinen anzupassen, um beim passenden Suchbegriff möglichst weit oben gerankt zu werden – ganz nach der von Jeff Jarvis etablierten Frage „What would Google do?“.

Die zweite Möglichkeit ins Sichtfeld der potentiellen Kunden zu rücken, sind bezahlte Suchmaschinenanzeigen (SEA). Das meistgenutzte Tool in diesem Bereich bietet der Marktführer Google AdWords. Die Einbuchung der eigenen Anzeige gestaltet sich grundsätzlich sehr einfach. Kreditkarte registrieren, Keyword kaufen und schon ist man zur richtigen Zeit am richtigen Ort – wären da nicht auch noch die Mitbewerber, die ebenfalls um dieselben Keywords und die vorderen Plätze mitbieten.

„Thermoskanne“ für sieben Euro

„Bei manchen Keywords zahlt man schon so viel, dass es nicht mehr wirtschaftlich ist. Letztes Jahr kostete etwa ein Klick auf das Keyword „Thermoskanne“ sieben Euro bei Google – das kann nicht mehr rentabel sein“, zeigt Fischer ein extremes Beispiel auf.

Karl Pall, Country Manager Google Österreich, weiß, dass es in erster Instanz um Transparenz und Verlässlichkeit, einfache Gestaltung und den Zugriff auf exakte Performance-Berichte geht. Doch auch er ist sich des mancherorts erreichten Sättigungsgrades bewusst und rät zur Long-Tail-Strategie. Dabei wird der Markt für Massenprodukte umschifft und das Augenmerk auf spezifische Suchanfragen gelegt.

„Viele Inserenten konzentrieren ihre Werbung lieber auf Massenartikel, lassen dadurch den Long Tail ungenutzt und verpassen so Absatzchancen. Keywords für Begriffe rund um Long Tail sind typischerweise im Preis günstiger und haben eine höhere Erfolgsquote, da die Suche nach Nischenprodukten oft dann gestartet wird, wenn der Kunde den Auftrag auch erteilen will. Kleine oder spezialisierte Unternehmen können durch die Long-Tail-Strategie eher zu ihren etablierten Wettbewerbern in Konkurrenz treten, als wenn sie sich ausschließlich auf allgemeine, wettbewerbsintensivere Märkte konzentrieren würden“, rät Pall den AdWords-Kunden.

„Da schießt sich die Agentur ja ins Knie.“

Doch der Kauf von Keywords ist nur der erste Schritt im SEA-Bereich, denn die Ergebnisse wollen auch analysiert werden. Dazu sind alle Analysetools für die Werbetreibenden bei den Suchmaschinenanbietern vorhanden, doch das Gros der Kunden schreckt davor zurück, sich mit dem Instrumentarium auseinanderzusetzen. Die Mehrzahl der Unternehmen lagert diese Aufgabe an Agenturen aus, was laut „Website Boosting“-Herausgeber Fischer strategisch zu hinterfragen sei.

„Viele überlassen die Messungen ihren Agenturen, aber ob eine korrekte Auswertung wirklich in deren Interesse liegt, hängt vom Geschäftsmodell ab. Manche Agenturen lassen sich zum Beispiel prozentual bezahlen, das heißt an Google gibt man im Monat 10.000 Euro und die Agentur kriegt davon 15 Prozent. Deshalb liegt es nicht im Interesse der Agenturen, das Budget wirtschaftlicher zu gestalten, sondern es im Gegenteil immer mehr aufzublasen. Bei gleicher Verkaufsanzahl mit weniger Geld schießt sich die Agentur ja ins Knie. Die Kunden wissen das oft nicht, weil sie die Agenturen gewähren lassen und oft nur Durchschnittszahlen kriegen. Die Agentur kriegt ihr Budget und sorgt dafür, dass Traffic kommt, aber ob das auch der wirtschaftlich wertvolle Traffic ist, das wissen die wenigsten Firmen“, erklärt Fischer.

Um im Bereich Suchmaschinenoptimierung den richtigen Partner zu finden, wurde in Deutschland nun mithilfe eines SEO-Zertifikats ein erster Schritt zur Regulierung des Marktes eingeleitet. Der Bundesverband für Digitale Wirtschaft führt dabei eine TÜV-ähnliche Überprüfung für SEO-Unternehmen durch. Die sorgfältig ausgewählten Kandidaten werden auf Mindestanforderungen gecheckt und müssen Referenzkunden und Umsätze vorlegen. Grund für diesen Schritt war unter anderem die Praxis einiger Unternehmen, in Kaltakquise Kleinunternehmer als SEO-Kunden anzuwerben und diese mit Knebelverträgen für Jahre an die Firma zu binden, ohne den in sie gesetzten Erwartungen dabei vollends gerecht zu werden.

Trotz solcher Machenschaften ist Fischer überzeugt, dass in SEO nach wie vor der größte Effizienzhebel liegt. „Das ist wie beim Flugzeug: Der Start kostet viel Energie, aber man braucht nur mehr wenig um die Höhe zu halten. Noch ist es die beste Strategie, SEO mit der Kernstrategie zu fokussieren. Es entstehen in Folge Traffic und Hits, die man durch nachhaltiges Linkbuildung unterstützen kann. Von der Kosten-Nutzen-Rechnung liegt in der Suchmaschinenoptimierung nach wie vor das beste Verhältnis. Der Traffic, der über Suchmaschinen kommt, ist sehr konvertibel.“

Blick in die Zukunft

Die Zukunftshoffnungen der Branche liegen vor allem auf den Bereichen Semantic Search und Social Search. Für den Bereich Semantic Search haben Google, Yahoo und Bing Ende Mai 2011 die gemeinsame Initiative Schema.org präsentiert. Dort wurden einheitliche Markups für semantische Suchvorgänge definiert, die Usern bei Verwendung zukünftig bessere Sichtbarkeit im Ranking ermöglichen sollen. Expertenmeinungen zufolge wird Semantic Search im alltäglichen Handling allerdings aufgrund seiner Komplexität eine große Herausforderung darstellen, einerseits aufgrund der zu befürchtenden Überforderung der User, regelkonform zu taggen, andererseits wegen der Spamwelle, die mit dieser Innovation voraussichtlich losbrechen wird.

Die Social Search wird aufmerksamen Usern bereits ein Begriff sein. Google ermöglicht dem Frühjahr seinen eingeloggten Usern als zusätzliches Feature soziale Faktoren in ihre Suche miteinzubeziehen. So werden der Content des Users und seiner Kontakte, zum Beispiel Beiträge von Twitter, Youtube oder Blog Posts höher bewertet und weiter vorne gerankt. Die Suchergebnisse sind jeweils mit einem Quellenverweis versehen. So stark das Thema Social Search in den Medien derzeit auch gehypt wird, bleibt die tatsächliche Performance in Monetarisierungsbelangen bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Laut einer Statistik eines Ende Mai von der Bank of America publizierten Reports weisen soziale Netzwerke immer noch eine eher marginale Entscheidungsrolle im Kaufverhalten der Kunden auf. (Tatjana Rauth/derStandard.at/13.7.2011)

Links

Semantik-Initiative: Schema.org

Statistik Merill Lynch: businessinsider.com/chart-of-the-day-google-is-still-much-bigger-than-facebook-for-purchasing-decisions-2011-6

Chris Andersons Blog Long Tail: longtail.com

Google AdWords Blog: adwords-de.blogspot.com

Mario Fischer auf Twitter: twitter.com/#!/mariofischer

Bundesverband für Digitale Wirtschaft: bvdw.org

Wissen

SEM (Search Engine Marketing): ist ein wichtiger Teil des Onlinemarkting und versucht durch strategische Maßnahmen, die Unternehmenswebsite auf Top Ranking Plätze in den Suchmaschinen-Ergebnissen zu hieven.

SEO (Search Engine Optimization): Nach Schätzung von Experten beziehen die Logarithmen der prominenten Suchmaschinen rund 200 Kriterien zum Ranken der Suchergebnisse mit ein. Suchmaschinen-Optimierung versucht mithilfe optimierter Textstrukturen, Keywords und Backlinks das Ergebnis zu beeinflussen.

SEA (Search Engine Advertising): Damit wird das Feld der bezahlten Anzeigen innerhalb der Suchmaschinenergebnisse beschrieben. SMO (Social Media Optimization): Web 2.0-Optimierung von Webseiten zum erleichterten Teilen von Inhalten und Links.

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