Daniel Domscheit-Berg: „Wikileaks ist nur der Agent“
Zeitungsbranche zeigt sich gespalten, Meinungen gehen von „eine von vielen Quellen“ bis zu „großen Nuggets wertvoller Information“
Nichts weniger als die Neudefinition des Journalismus verlangte Wikileaks der ohnehin im Umbruch befindlichen Zeitungsbranche ab. Ein Jahr nach den großen Enthüllungen zeigte sich diese bei der Diskussion „Nach WikiLeaks: der nächste Schritt für Zeitungen“ im Rahmen des 18. World Editors Forum gegenüber der neuen Kraft gespalten.
„Wikileaks war für uns eine ‚Mega-Quelle‘ und wir hatten das Gefühl, dass das Material so wichtig war, dass wir es verantwortungsbewusst an die Öffentlichkeit bringen wollten. Aber die Zeiten ändern sich, Menschen ändern sich, Quellen ändern sich. Ob wir noch mal mit Julian Assange arbeiten würden? Ich weiß es nicht“, brachte Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur des „Spiegel“, die internationale Stimmung auf den Punkt.
„Wikileaks ist nur der Agent“
Wesentlich überzeugter zeigte sich Narasimhan Ram, Chefredakteur der indischen Zeitung „The Hindu“. Die Dokumente hätten starken Einfluss auf die aktuellen Entwicklungen in Indien genommen und würden in seinen Augen „große Nuggets wertvoller Information“ bergen. Für ihn sei Wikileaks eine ganz normale Quelle, stellte Ram klar. Es werde zukünftig sehr wichtig sein, unter dem Schutzschirm journalistischer Standards verstärkt in die risikolastige Kollaboration mit „Geeks“ zu investieren.
Diese Perspektive verknüpfte er mit einer politischen Beobachtung: „Wikileaks agiert als Agent. Es wird keine Auswahl getroffen, welche Zeitung die Informationen verwendet, die Quelle ist für alle offen. Ich bemerke zunehmend die Tendenz, dass sich politisch rechtsorientierte Zeitungen weitaus weniger Gedanken über die Verwendungen von Leak-Informationen machen.“
Anonyme Portale schaffen
Daniel Domscheit-Berg, ehemaliger Pressesprecher von Wikileaks und Gründer von „OpenLeaks“, brachte in die Diskussion immer wieder die Bürgerperspektive ein und erklärte daraus die Notwendigkeit für Leak-Plattformen: „Es gibt immer wieder Menschen, die Zeitungen Dokumente zukommen lassen wollen, aber sie wissen nicht, wem sie dort vertrauen können. Bei Leak-Plattformen ist der anonyme Zugang garantiert und genau daraus beziehen sie ihre Legitimation. Um die Dokumente aufzuarbeiten und in einen Kontext zu setzen, braucht es aber Journalisten. Mit OpenLeaks wollen wir einfach nur die Technik zur Verfügung stellen. Wer sie dann nutzt, liegt nicht bei uns.“
Tom Kent von der Nachrichtenagentur „The Associated Press“, bestritt vor dem Hintergrund, damals die Wikileaks-Dokumente abgelehnt zu haben, in der Runde die Gegenpostion. „Es gibt mehr Möglichkeiten für Journalisten, an Informationen heranzukommen“, brach er die Lanze für altmodischen investigativen Journalismus, „geleakte Dokumente sind nur eine weitere Möglichkeit“.
„In Zukunft müssen wir besser vorbereitet sein, um die Datenmengen zu durchforsten und gehaltvolle Ergebnisse zu erzielen“, schloss der Spiegel-Chefredakteur. „Wir leben in einer digitalen Ära und bekommen immer mehr Zugriff auf Dokumente, ob regulär und durch neue Quellen. Es wird in Zukunft sicher mehr Organisationen geben, die mit sensitiven Daten handeln, was wir aufgrund der Komplexität unserer Welt, man denke nur an die Finanzmärkte, willkommen heißen. Am Ende entscheiden die menschlichen Faktoren Glaubwürdigkeit und Vertrauen.“ (Tatjana Rauth/derStandard.at/14.10.2011)